Eva Herman
Aktuelle Untersuchungen zeigen: Nie zuvor fühlten sich Kinder und Jugendliche derartig gestresst und besorgt wie heute. Die Ergebnisse legen den Rückschluss nahe: Kinder werden zu früh in Gruppen abgegeben, ihre Eltern verlieren zunehmend Einfluss und können ihren Kindern, bedingt durch berufliche Abwesenheit, in kleinen und großen Notsituationen häufig nicht helfen.
Kinder und Jugendliche sind unsicher und ängstlich wie nie: Alle Umfragen und Studien der zurückliegenden Jahre signalisieren: Kinder und Jugendliche fürchten sich vor der Zukunft!
Alle aktuellen Untersuchungen zur Schulsituation in Deutschland bestätigen: Nie zuvor gab es größere Probleme zwischen Lehrern und Schülern!
Alle derzeitigen Aussagen von Berufsausbildern Jugendlicher laufen auf die eine Aussage hinaus: Zu keinem Zeitpunkt waren die jungen Leute unqualifizierter für das Berufsleben als heute!
Der Alltag der Jugendlichen ist zunehmend geprägt durch »Gefühle der Ohnmacht und des Alleinseins, der Sinnleere und Perspektivlosigkeit«, heißt es schon in der Studie Jugend 2007 – zwischen Versorgungsparadies und Zukunftsängsten, die das Rheingold-Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen im Auftrag von Axel-Springer-Mediahouse durchgeführt hat. Mobbing, Gewalt und die immer mächtiger werdende Angst vor dem Abgleiten in ein Hartz-IV-Dasein steigerten das Gefühl der Verunsicherung und der Orientierungslosigkeit. »Selbst die Jugendlichen, die sich noch materiell abgesichert fühlen, erleben die Zukunft als ein schwarzes Loch. Sie wissen nicht, wofür sie gebraucht werden, wofür sie kämpfen und wogegen sie rebellieren können«, so die Rheingold-Untersuchung.
Die neueste und aktuellste Studie des Instituts für Psychologie und des Zentrums für angewandte Gesundheitswissenschaften (ZAG) der Leuphana-Universität Lüneburg für die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) schlägt erneut Alarm: 33 Prozent aller Schüler in Deutschland sind gestresst!
Folgende Stress-Symptome wurden festgestellt:
– Einschlafprobleme (22 Prozent)
– Gereiztheit (21 Prozent)
– Kopfschmerzen und Rückenschmerzen (16 Prozent)
– Niedergeschlagenheit (14 Prozent)
– Nervosität (11 Prozent)
– Schwindelgefühle (9 Prozent)
– Bauchschmerzen (8 Prozent)
Das Portal für Bildungsinformationen bildungsklick.de hat die DAK-Studie ausgewertet, aus der hervorgeht, dass mehr als 50 Prozent der Betroffenen ihre Gefühle in der Schule mit »verzweifelt, hoffnungslos, ausweglos« beschrieben. »Insgesamt geben mehr als zwei Drittel der Schüler mit häufigen Beschwerden an, dass sie in der Schule regelmäßig negative Gefühle erleben. … Schweigen und Verdrängen macht alles noch schwieriger.«
Kinder und Jugendliche von heute haben enorme Zukunftsängste.
Die letzte Shell-Jugendstudie hatte schon Vergleichbares als Ergebnis: Sie zeigt, dass Jugendliche deutlich stärker besorgt sind, ihren Arbeitsplatz verlieren beziehungsweise keine adäquate Beschäftigung finden zu können. Waren es im Jahr 2002 noch 55 Prozent, die hier beunruhigt waren, stieg die Zahl 2006 bereits auf 69 Prozent an. Auch die Angst vor der schlechten wirtschaftlichen Lage und vor steigender Armut nahm in den Jahren zwischen 2002 und 2006 von 62 Prozent auf 66 Prozent zu.
Die Bewältigungsstrategien, die Jugendliche entwickeln, um mit ihren Schwierigkeiten fertig zu werden, sind laut der Rheingold-Untersuchung sehr verschieden. Die einen betreiben Dauerkonsum, andere schotten sich ab und flüchten in die künstlichen Paradiese von Internet und Playstation-Welten. Von der einstigen Spaßgesellschaft, in der alles »ganz easy« lief, sind lediglich vereinzelte Bruchstücke übrig geblieben.
Zahlreiche Kinder und Jugendliche in Deutschland stehen heute unter einem enormen Druck, der insbesondere von den Gleichaltrigen in den sogenannten Peer Groups ausgeübt wird. Die Orientierung an Gruppenstandards wird in diesem Zusammenhang jedoch oft ignoriert oder bewusst heruntergespielt. Nach Aussagen des kanadischen Psychologen Gordon Neufeld ist die zunehmende Gleichaltrigenorientierung in unserer Gesellschaft von einem alarmierenden und dramatischen Anstieg der Selbstmordrate unter 10- bis 14-Jährigen begleitet, seit 1950 hätte sie sich in dieser Altergruppe in Nordamerika vervierfacht. Ist man bisher davon ausgegangen, dass bei Selbsttötungen junger Menschen die Gründe meist in der Ablehnung der Eltern zu finden sind, ist das nach Ansicht Neufelds inzwischen lange nicht mehr so. Langjährige Beobachtungen und Untersuchungen des Psychologen lassen den Schluss zu, dass der wichtigste Auslöser für den jugendlichen Suizid in der Behandlung durch die Gleichaltrigen zu sehen ist. Je öfter und regelmäßiger Kinder und Jugendliche ihre Zeit mit Personen gleichen Alters teilen, und je wichtiger sie in dieser Gruppe füreinander werden, umso verheerender kann sich ihr unsensibles Verhalten auf jene Kinder auswirken, die es nicht schaffen, dazuzugehören und die sich abgelehnt oder ausgeschlossen fühlen.
Auch in anderen Ländern ist das Phänomen bekannt: Die amerikanische Zeitschrift für Kultur, Politik und Literatur, Harper’s Magazine, druckte vor einiger Zeit eine Sammlung von Abschiedsbriefen japanischer Kinder ab, die Selbstmord verübt hatten: Die meisten von ihnen litten unter der unerträglichen Tyrannisierung durch Gleichaltrige und gaben dies als Grund an für ihren Entschluss, aus dem Leben zu gehen.
Gruppendruck kann große Ängste verursachen, aber auch Hass auslösen. Der Student Cho Seung-Hui fühlte sich in »die Ecke gedrängt« – das gab er wenigstens als Grund an, nachdem er im April 2007 auf dem Campus von Blacksburg im amerikanischen Bundesstaat Virginia 32 Menschen getötet hatte. Die Wut und das Bedürfnis nach Vergeltung können über Jahre wachsen, Jahre, in denen Rachepläne geschmiedet und Vorbereitungen getroffen werden können. Schließlich kommt der Punkt, an dem die Wut zu groß wird: Alle sollen endlich erfahren, was sie dem Betroffenen angetan haben. Ähnlich der Amoklauf von 2001 in Erfurt, bei dem der 19-jährige Robert Steinhäuser am Gutenberg-Gymnasium 16 Personen und dann sich selbst tötete. Er war von der Schule verwiesen worden.
Schon zu Beginn der 1960er-Jahre warnte der amerikanische Soziologe James Coleman davor, dass die Eltern als wichtigste Quelle für Werte und als Hauptbezugsperson für ihre Kinder und deren Verhalten verdrängt würden – und zwar durch gleichaltrige Bezugspersonen. Doch damals war das noch kein Thema, beginnende Fehlentwicklungen bei Jugendlichen wurden – insbesondere in Deutschland – mit dem Dilemma der Eltern erklärt, die sich nicht mit den Folgen des zurückliegenden Krieges auseinandergesetzt hätten.
Der kanadische Psychologe Gordon Neufeld geht davon aus, dass eine starke Gruppensozialisation bei Kindern und Jugendlichen auch Auswirkungen auf das spätere Verhalten im Erwachsenenalter hat: Wer sehr jung die Gruppe als Lebensrealität empfunden und kennen gelernt hat, und wem die Erfahrungen des Alleinseins, aber auch die einer Familie und dem damit verbundenen Zusammenhalt fehlen, der verlässt sich später auch nicht auf sich allein. Extreme Erscheinungsformen der Gleichaltrigenorientierung sind nach seiner Meinung tyrannisierendes Verhalten mit Gewaltanwendung, Selbstmorde und Morde unter Kindern und Jugendlichen. Auch die inzwischen allseits bekannten Massenpartys mit Höhepunkten wie Koma-Sauf-Wettbewerbe oder Gang-Bangs, also Massenvergewaltigungen, bei denen die Mädchen vorher zustimmen, können zu diesen Folgen zählen.
Heutige Jugendliche stehen oft als Krawallmacher, Schläger oder Kleinkriminelle in der Zeitung oder sie scheinen langweilig, angepasst und konturlos zu sein. Die Schere geht auseinander zwischen extrem gewaltbereiten Jugendlichen und kleinen Spießern. Wo sind die jungen Leute mit Idealismus, mit festen Zielen vor den Augen, mit Ecken und Kanten, mit »Flausen im Kopf«? Keine Frage: Jede Elterngeneration hat den Kopf geschüttelt über die Jugendlichen ihrer Zeit. Doch das Phänomen, dass die einen viel zu wenig rebellieren und die anderen erschreckend über das Ziel hinausschießen, ist neu. Die Jugendlichen von heute scheinen zum einen emotionslos, gelangweilt und unterkühlt zu sein, die anderen verroht und gewaltbereit.
Immer mehr Jugendliche haben Angst davor, ihren Platz im Leben nicht zu finden, nicht gebraucht zu werden. Sie isolieren sich, statt sich abzunabeln – aus Angst, dem Leben nicht die Stirn bieten zu können. Das haben sie nie gelernt. Die einen wurden sich selbst überlassen, den anderen wurde jedes Problem abgenommen, jeder Wunsch erfüllt.
Doch alle genannten Phänomene, die unsere Gesellschaft nachhaltig verändern, sind Hilfeschreie der Kinder. Sie brauchen von Anfang an entscheidend mehr Zeit mit ihren Eltern, mehr Zuwendung und mehr Liebe! Wenn sie erst einmal daran gewöhnt sind, dass ihre Eltern keine Zeit für sie haben, dann ist der Zug häufig schon abgefahren. Alle derzeitigen Regierungsprogramme jedoch glorifizieren nach wie vor die Erwerbstätigkeit der Mütter. Solange das nicht zugunsten der Kinder geändert wird, und solange keine nachhaltigen Bemühungen daran gesetzt werden, Kindern die Anwesenheit ihrer Eltern, speziell der Mutter, zu ermöglichen, wird diese Gesellschaft weiter auseinanderfallen und die genannten Zahlen und Probleme werden weiter steigen.
Freitag, 12.02.2010
Kategorie: Allgemeines, Wissenschaft, Politik
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