Samstag, 13. Februar 2010

Das Ruckeln hinter den Kulissen

Niki Vogt
Die Ukraine schrammte im letzten Jahr knapp an einem Staatsbankrott vorbei und überlebte nur dank westlicher Finanzhilfe. Das war damals weit weg. Mittlerweile kriselt es aber schon heftig innerhalb der EU. Griechenland muss drakonisch an die Kandare genommen werden, um einen Staatsbankrott abzuwenden. Portugal und Spanien treiben immer schneller auf einen solchen zu. Irland und Italien folgen dicht hinterher. Es ruckelt immer mehr hinter den aufgehübschten EU-Kulissen. – Am Beispiel der Ukraine kann man recht gut sehen, was sich so alles ändert, wenn die Rädchen des Systems anfangen zu knirschen.

Ein Blick auf Länder, in denen der Staatsbankrott schon in der Türschwelle steht, zeigt uns, was auf uns auch zukommen kann. Die Ukraine beispielsweise, die im letzten Jahr nur durch internationale Darlehen den sicheren Staatsbankrott abwenden konnte, wie die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko unlängst eingestand, ächzt momentan unter explodierenden Lebensmittelpreisen. Nachrichtensender in der Ukraine berichten ständig darüber. Die Angst vor einer Lebensmittelversorgungskrise wächst, und führt zu Hamsterkäufen. Was wiederum die Händler ermuntert, die Preise hochzufahren.

Interfax meldete in den ersten Februartagen immense Preissteigerungen: In der Umgebung von Donetsk stiegen die Lebensmittelpreise um 23,4 Prozent, in Dnipropetrovsk um 24,6 Prozent, in der Region Luhansk um 26 Prozent, in Sewastopol sogar um 35 Prozent, in verschiedenen anderen Regionen werden auch Preissteigerungen von um die 30 Prozent in weniger als nur einer Woche gemeldet.
Die Regierung sah sich gezwungen, einen Krisengipfel abzuhalten. Man beschloss, ein Preisverletzungsverfahren gegen die großen Handelsketten einzuleiten. In der an den Krisengipfel anschließenden Pressekonferenz hieß es, die Preisanhebung habe keine nachvollziehbare Grundlage. Mit anderen Worten: Wenn die Menschen Angst bekommen vor einem Systemkollaps, kommt sehr schnell Panik auf, Gerüchte verbreiten sich wie Lauffeuer, und jeder rennt los und versucht, sich noch irgendeinen Vorteil zu verschaffen. Niemand traut mehr der Zukunft.
Das ist angesichts der Zustände auch kaum ein Wunder. Die Summe der staatlichen Auslandsschulden der Ukraine hat sich 2009 um 53,5 Prozent erhöht und hat zum Jahreswechsel 37,4 Milliarden Dollar erreicht. Die Regierung reagierte darauf mit einer Abwertung der Landeswährung Griwna, damit drücken die Auslandsschulden schon etwas weniger.
Dafür stellte Russland den Gashahn ab. Die Ukraine konnte ihre Rechnung nicht zahlen.
Auch Beamte und öffentliche Angestellte müssen zunehmend auf die Zahlung ihrer Gehälter und Löhne warten, nicht selten über Monate.
Die Industrieproduktion fiel 2009 im Vergleich zum Vorjahr um über 30 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt fiel um 13 Prozent.
Die Weltwirtschaftskrise ließ innerhalb nur weniger Wochen die Mietpreise für Wohnungen und Geschäftsräume einbrechen. Der gesamte Immobilienmarkt brach in kürzester Zeit ein. Auf dem Khreschtschatik, der Prachtstraße und Einkaufsmeile Kiews, schlossen viele Ladengeschäfte, vornehmlich die besseren Geschäfte.
Der Verfall der Währung in Höhe von 63 Prozent gegenüber dem US-Dollar im letzten Jahr hatte direkte Auswirkungen auf das tägliche Leben. Damit wurden Importe unglaublich teuer. So waren nach der Abwertung innerhalb weniger Tage kaum noch Tiefkühlkostwaren in den Supermärkten zu finden. Noch schlimmer traf es den Bereich des importierten Frischgemüses. Hier brach der Import um 7 Prozent ein.
Die wenige Tiefkühlware, die in die Ukraine geliefert wird, wird von den Lebensmittelläden nicht selten wieder zurückgeschickt. Die Stromkosten sind so angestiegen, dass es für viele Läden nicht mehr lohnt, die stromfressenden Tiefkühltruhen wegen ein paar mickriger Tiefkühlpackungen laufen zu lassen.
Aber nicht nur der abgewertete Griwna ist die Ursache dafür. Die Banken haben die Kreditvergabe so gut wie eingestellt. Das ruiniert die Importeure, die im Ausland nur noch auf Vorkasse und Barzahlung beliefert werden. Der Importeur bekommt aber im Lande selbst nicht sofort den Verkaufspreis ausgezahlt, sondern muss auf die Bezahlung der Ware oft monatelang warten. Das ist besonders bei einer schwankenden Währung ein hohes Risiko.
Die ausbleibenden Kredite wiederum haben ihre Ursache darin, dass die meisten Banken in der Ukraine ebenfalls am Abgrund des Bankrotts entlang taumeln. Um einen Bankrun und einen Dominoeffekt durch Zusammenbrüche zu verhindern, liquidierte der Staat zehn nicht mehr zu rettende Institute und stellte die systemrelevanten unter staatliche Kontrolle. Die Regierung sah sich sogar gezwungen, kurzfristige Abhebungen durch die Kontobesitzer zu verbieten. Das wiederum führte zu Bargeldengpässen in der Bevölkerung, Rechnungen und Gehälter wurden nicht bezahlt und kleinere Betriebe gerieten in Existenznot. Um an Bargeld zu kommen, griffen viele Ukrainer zu verzweifelten Maßnahmen. Viele verpfändeten ihre Sparkonten weit unter Wert, aus Angst, möglicherweise nichts von ihrem Geld je wiederzusehen.
Dieses Misstrauen der Bevölkerung in alles, was Regierung, Banken und Staat im Allgemeinen betrifft, kommt nicht von ungefähr: Die Ukrainer haben in den letzten 20 Jahren zweimal alle Ersparnisse verloren: beim Zusammenbruch der Sowjetunion und am Ende der Finanzkrise 1998.
Das Bankenmoratorium zur Abhebung wurde zwar wieder aufgehoben, aber der Zugriff auf größere Geldsummen auf dem eigenen Konto ist immer noch ein Problem und bei manchen Banken immer noch nicht möglich.
Die Tatsache, dass die Regierung bis jetzt noch nicht in der Lage war, einen Staatshaushalt für 2010 zusammenzustellen, tut ihr übriges.

Viele Ukrainer, die sich im rauschenden Optimismus der Aufbruchsjahre vor der Krise Autos und Wohnungen oder Häuser auf Kredit gekauft haben, nahmen den Kredit in Dollar auf. Die radikale Abwertung der Landeswährung verteuerte die Kreditraten aber über Nacht auf das Doppelte, sodass diese nicht mehr bezahlt werden konnten. Über 30 Prozent dieser Kredite brachen damit weg und trugen zum Bankendesaster bei, dessen Kreditausfälle weitere Banken in die Pleite zu führen droht. Jacques Mounier, der Dirktor der ukrainischen Filiale der französischen Bank Calyon, glaubt, dass 2010 noch mehrere ukrainische Banken verschwinden werden.
Die EU und der IWF haben Kredite gegeben, um den Staatsbankrott abzuwenden, aber ein hartes Sparprogramm dafür verlangt. Eines davon ist die Erhöhung der Gaspreise für private Verbraucher. Das wiederum konnte keine der beiden um den Wahlsieg streitenden Parteien in ihr Wahlprogramm schreiben, das hätte zu einem Aufschrei in der Bevölkerung geführt. Im Gegenteil: Die Regierung hat mit Blick auf den Wahlkampf gerade erst ein Gesetz zur Erhöhung der Sozialausgaben beschlossen. Das kann der Staat zwar überhaupt nicht bezahlen, aber was soll’s? Es war eben Wahlkampf …
Daraufhin hielt der IWF die Auszahlung der vierten16-Milliarden-Rate des Kredites zurück, und auch die EU eine Tranche von 600 Millionen. Nach Ansicht von Fachleuten wäre es der Ukraine aber nur mithilfe dieser Gelder möglich, die Währung und die Wirtschaft stabil zu halten. Das Geld soll nun doch ausgezahlt werden im Vertrauen darauf, dass man sich jetzt nach der Wahl an die verordneten Sparpläne hält. Die unübersehbare Gemengelage bei einem derart unklaren Wahlergebnis wird aber eher nicht zur Stabilität und stringentem, unpopulärem Handeln beitragen.
Mit 105 Milliarden Dollar Auslandsschulden sei die Verschuldung der Ukraine im internationalen Vergleich relativ gering, findet eine deutsche Beratergruppe für die Ukraine, und verbreitet Hoffnung. Andere Wirtschaftsexperten sehen das weniger optimistisch.
Einen Vorteil hat die Ukraine in der Krise, den auch die Griechen haben, wir Deutschen aber kaum: Der Aufschwung bis zur Krise hat noch nicht so lange Zeit gehabt, das Leben der Menschen zu prägen. Die meisten nehmen Wohlstand und Sicherheit noch nicht für selbstverständlich hin und leben noch kein isoliertes Single- oder Kleinstfamiliendasein. Man hat in fast allen Fällen noch funktionierende Großfamilienbande und Verwandte auf dem Land, die zur Not ein Zimmerchen auf ihrem Hof räumen. Man kennt sich aus mit Gemüsegärten und Kleintierhaltung, Holzöfen und selbst Eingemachtem und verfügt über Kenntnisse im Organisieren, Improvisieren, Reparieren und weiß auch Bescheid, wie es auf dem Schwarzmarkt zugeht.
Sollte die Weltwirtschaftskrise in Westeuropa in ähnlicher Weise Einzug halten, wird sich erweisen, wie schnell die Deutschen zu verschütteten Fähigkeiten zurückfinden. Wir mögen ja noch weit davon entfernt sein, glauben wir. Aber Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und Irland – EU-Mitglieder und Nachbarn – sind schon etwas weiter auf dem Weg dorthin. Auch wenn die Deutschen sich das noch nicht vorstellen können: Geht es einmal tatsächlich in diese Richtung, wird der Zug nicht mehr aufzuhalten sein, denn dann gibt es niemanden, der Mitteleuropa – insbesondere Deutschland – noch einen Hilfskredit geben könnte.

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Quellen:
Preisexplosion Lebensmittel Ukraine: http://ping.fm/U0dcy
Schulden Ukraine: http://ping.fm/iiVEN
http://ping.fm/RCrVa
Verbraucher-Preisindex Ukraine: http://ping.fm/5rDk8
thttp://ping.fm/gn2Ir
http://ping.fm/AoiHp
http://ping.fm/Wsf0u
http://ping.fm/D8CpD
http://ping.fm/f65wS

Mehr ... http://ping.fm/6saAD

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